Erst einmal Tee trinken. Wir sitzen auf eine Bank umringt von hohen Felsenwänden. Nur noch eine halbe Stunde Autofahrt und dann haben wir es geschafft. Wir verweilen kurz und beobachten die mit Tagesgästen gefüllten Kleinbusse, die sich schon wieder auf dem Rückweg befinden.
Der Tourismus gewinnt deutlich an Bedeutung für das Land und die Besucherzahlen steigen konstant an. Nach Angaben des aserbaidschanischen Kultur- und Tourismusministeriums besuchten das Land im Jahr 2017 vor allem Russen, Georgier, Iraner und Türken. 2017 besuchten etwa 2,7 Millionen Touristen Aserbaidschan. Der stetige Tourismuswachstum belebt die Wirtschaft und Infrastruktur vieler Regionen. So auch das einst schwer erreichbare Bergdorf Xinaliq.
Wir wollen länger bleiben. Nur wo wir nächtigen werden, ist noch nicht geplant. Es wird frischer. Der Wind bläst uns kühl um die Ohren. Innerhalb von vier Stunden Autofahrt sind die Temperaturen von 27 Grad auf 9 Grad heruntergeklettert. Flo bringt unsere Gläser an die Teestation zurück und wir fahren weiter. Vereinzelt kreuzen Schafe und Kühe unsere Straße.
Dann sehen wir den grünen Hang mit den alten und niedrigen Steinhäusern zwischen einer atemberaubenden kaukasischen Berglandschaft hervorragen. Das rustikale Dorf beherbergt derzeit circa 2.000 Menschen, hauptsächlich Bauern- und Hirten, die Kartoffeln anbauen und Vieh für ihren Lebensunterhalt züchten. Als einer der ältesten ununterbrochen bewohnten Orte der Welt, haben die Menschen in Xinaliq ihre eigene Sprache und tiefe Traditionen. Legenden zufolge verließen hier die Passagiere der biblischen Arche Noah das Boot und begannen ihre eigene Zivilisation. Dieser Glaube ist so tief verwurzelt, dass sich die Bewohner als „Enkelkinder Noahs“ betrachten.
Wir stellen unser Mietauto zu den Lada Niva Fahrzeugen, welche hier fest zum Straßenbild auf dem Land gehören. Dann schlendern wir über die Schlammpfade durch das Bergdorf. Kinder grüßen uns freundlich und rennen spielerisch durch die Gassen. Eine Frau mit bunten Gewand und Kopftuch wäscht Kleidung in einer Wanne mit eiskaltem Brunnenwasser. Xinaliq ist bekannt für eine spezielle Webtechnik. Besonders die Socken, welche Teppichminiaturen gleichen, sind hier weit verbreitet. Warme Socken, die jetzt auch Sam’s Füße schmücken.
Ein älterer Mann grinst uns mit seinen glänzenden Goldzähnen an und wendet sich dann wieder seiner Werkstattarbeiten zu. Alle tragen sie Wollklamotten. Denn hier im Norden ist es schon etwas kühler als im Süden des Landes. Für heute Abend ist sogar noch Schnee angekündigt. Im Winter gehen die Temperaturen hier locker auf minus zwanzig Grad runter. Dass dafür die Bewohner schon vorsorgen, können wir an den riesigen Mistwänden erkennen. Da unter diesen widrigen Bedingungen in großer Höhe fast keine Bäume mehr wachsen, verlassen sich die Menschen zum Kochen und Heizen auf Mist. Die Dungklumpen liegen überall zum Trocknen und werden ordentlich zur Aufbewahrung gestapelt. Wahnsinn, nur 220 Kilometer nördlich von der Glamour-Stadt Baku sieht die Welt anders aus. Hier scheinen die Uhren noch anders zu ticken.
Nach den ersten Eindrücken wärmen wir uns in dem einzigen Teehaus des Dorfes kurz auf. Wir fragen den Besitzer nach einer möglichen Unterkunft. Er stellt uns direkt Maarif Agayev vor, der unser Freund und Begleiter für die nächsten zwei Tage sein wird. Der 22-Jährige ist hier in Xinaliq groß geworden. Er ging hier zur Schule und diente auch in der Kaserne, die man auf einem anderen Berghügel sehen kann. Gemeinsam fahren wir zu seinem Gasthaus „Xinaliq Qonaq Evi“, einem geräumigen Gebäude mit einem Einzel- und zwei Mehrbettzimmern. Wir sind die einzigen Gäste für die nächsten zwei Tage. Somit haben wir das ganze Haus für uns allein. Für uns wahrer Luxus hier, wenn man bedenkt, auf welchen Höhenmetern wir uns gerade bewegen.
Maarif erzählt uns, dass er normalerweise als Hirte arbeitet. Aber immer öfters geht er mit Touristen auf Bergtouren. Wir fragen Maarif, ob er uns morgen vielleicht den Feuertempel oder den Wasserfall hier in der Umgebung zeigen könnte. Der Feuertempel Atashgah befindet sich circa fünf Kilometer außerhalb des Dorfes und weiter 1000 Meter höher. Ein Highlight, was wir uns nicht entgehen lassen wollen. Maarif freut sich und stimmt direkt zu. Er muss uns nur bei der nahe liegenden Kaserne melden, da wir durch deren Militärgebiet, das Teil des dortigen Nationalparks ist, wandern werden. Zudem ist auch die Staatsgrenze zur russischen Republik Dagestan nur 20 Kilometer entfernt. Aber alles kein Problem. Wir verabreden uns für acht Uhr morgens. Aber erst werden wir noch am Abend von seiner Mutter verköstigt, die für uns Kaukasus Fladenbrot, Käse, Eier, Butter und Kartoffeln zum Abendbrot zubereitet. Wir sind überrascht, wie gut die Unterkunft aufgestellt ist. Es gibt Wasser und Strom, stabiles Wi-Fi, große geräumige Zimmer und ein Badezimmer im Nebengebäude. Nur die Toilette ist in einer kleinen Hütte im Garten. Die Unterkunft ist perfekt für alle, die hier Wandern und Entspannen wollen. Dass sich ein Ausflug in die Tiefen der umliegenden rauen Bergwelt lohnt, zeigen wohl die folgenden Bilder am besten.
Der wachsende Tourismus wird immer mehr für die Bewohner ein gutes Zubrot. Seit Herbst 2006, als der Präsident Ibraim Alijew erstmals einen Besuch erstattete, wurde ein neues Schulgebäude samt Internatsflügel errichtet, Telefonanschlüsse in einigen Häusern verlegt und vor allem die Zufahrt frisch asphaltiert. Veränderungen die das Leben in der rauen Bergwelt zumindestens ein bisschen angenehmer gestalten. Dennoch gibt es bis heute keine Wasserleitungen und Kanalisation. Und noch immer leben die Menschen vorwiegend von ihrer Viehzucht. Wer in Aserbaidschan Business machen möchte, muss in die Stadt – nach Baku.
Xinaliq ist ein magischer, aber auch rustikaler Ort. Wir bewundern die Menschen, wie sie hier abseits der hochmodernen Welt leben. Die Bewohner haben wenig von ihrer ursprünglichen Lebensweise verloren. Bedeutet aber nicht, dass sie nicht die Welt des Internets kennen. Maarif zeigt uns stolz die Bilder und Videos der letzten Touren auf seinem Instagram-Profil. Über Facebook können wir ihm die Bilder der letzten Tage zuschicken. Dann noch schnell ein Selfie und wir verabschieden uns von ihm. Zwei Bergtouren unternehmen wir mit Maarif gemeinsam. Wir danken ihn sehr für diese unvergesslichen Wanderungen zu Fuß und mit Pferd über Flüsse und Berge.
Nach einem unvergesslichen Einblick in den Bergen des Kaukasus, geht es für uns erst einmal wieder zurück in die Hauptstadt Baku.
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